Der „kulinarische Jakobsweg“ in Ischgl, oder: Auf dem Weg des Genusses

Am „kulinarischen Jakobsweg“ in Ischgl fand ich den „Stein der Weisen“. Und habe Antworten darauf gefunden, was Weisheit bedeuten könnte. Weise ist unter anderem auch der, der sich auf den Weg macht, sich auf den Weg konzentriert und ganz bewusst wahrnimmt – zugleich aber dennoch das Ziel kennt und im Auge behält. Unterwegs sollte man das Genießen nicht vergessen und sich dennoch auf den Genuss am Ziel freuen. Das ist aus meiner Sicht der Weg und die Haltung des „Weisen“. Dieser hätte sich in Ischgl an diesem Sonntag von dem hier die Rede sein soll definitiv wohl gefühlt.

Begonnen hatte der Tag dabei eigentlich unspektakulär. Nachdem wir in Ischgl angekommen waren musste Kaffee her. Möglichst schnell. Da wir uns mit Martin Sieberer, seinerseits Weltklassekoch im „Trofana Royal“ in Ischgl, auf den Weg machen würden, bot es sich an kurzerhand in eben dieser ganz und gar nicht bescheidenen „Hütte“ einen Kaffee zu trinken. Gesagt, getan. Wenig später standen wir dann auch schon, mit der nötigen Dosis Koffein im Blut, vor dem Hotel und warteten auf Martin Sieberer, der uns den Weg zur „Heidelberger Hütte“ weisen würde.

Ich muss ja ehrlich gestehen, ich halte nicht so viel davon, dass Köche vergöttert werden und grundsätzlich schon Künstlern gleichgesetzt werden. Ein Koch ist immer auch ein „Mischwesen“ von Künstler und Handwerker. Vielleicht ein Kunsthandwerker? Mag sein. Aber meine Kunst lass ich mir dann doch nicht von Köchen einnehmen. Womit jetzt nichts gegen Köche gesagt ist, eher etwas über meine etwas sture und eigenwillige Haltung. Nur so viel und vorab schon gesagt: Eventuell würde meine Kategorisierung in Künstler und Kunsthandwerker an diesem Tag ins Wanken geraten.

Es könnte etwas damit zu tun haben, dass nicht „nur“ Martin Sieberer dabei war, sondern oben auf der „Heidelberger Hütte“ auch noch Eckart Witzigmann auf uns wartete, dem man ja wahre Wunderdinge nachsagte, der quasi der Gott aller kulinarischen Götter war und dem in der Küche so gut wie niemand das Wasser reichen konnte. Sagt man das so, bei Köchen? Wasser reichen? Ich weiß es nicht. Vielleicht auch das Glas Rotwein oder Weißwein. Wer weiß das schon so genau. Jedenfalls sei dieser Witzigmann ein Genie der Küche. Nun gut. Ich ließ mich einfach mal überraschen, zumal mit die allerhöchsten Freuden des kulinarischen Genusses bisher versagt geblieben waren. Falschem und ein wenig brotlosem Beruf sei „Dank“.

Eine Extraportion Schönheit: Die Natur in und rund um Ischgl

Unterwegs mussten wir dann definitiv und neidvoll feststellen, wie wunderschön hier in Ischgl die Natur war. Es entspann sich zwar ein Gespräch, dass es gar keine Naturlandschaften gäbe, sondern vielmehr nur gepflegte und gehegte Kulturlandschaften. Doch das tat der Schönheit und dem Überwältigt-Sein keinen Abbruch. Wir kamen ins Gehen. Ins Nachdenken. Ins Genießen. Und in das eine oder andere Gespräch mit Giovani Oosters, einem belgischen Spitzenkoch, der sich ebenfalls mit uns auf den Weg gemacht hatte. Er meinte, dass ihm das Gemüse eigentlich wichtiger sei wie Fleisch und Fisch und er sich deshalb auf Gemüse spezialisiert habe.

Wenige später fand ich dann den „Stein der Weisen“. Fotos belegen diesen „Fund“ ganz eindeutig. Und von da an kam ich ins Grübeln. Was war das überhaupt, dieses „Unterwegs-Sein“? Warum machte man sich überhaupt auf den Weg? Wie ist das Verhältnis von Weg und Ziel zu bewerten und verpasse ich das Wesentliche, wenn ich mich auf das Ziel fokussiere?

Und was passiert, wenn das Ziel aus meinen Augen gerät und es letztlich unwichtig wird? Geht dann nicht erst die wirkliche Schönheit des „Unterwegs-Seins“ auf und nehme ich nicht dann erst bewusst wahr? Fängt nicht da das Genießen an, wenn ich vergesse, wohin ich eigentlich gehe und ich mich an der Schönheit der Natur und des Augenblicks erfreue?

Meine These wurde auch gleich bestätigt. Denn mitten im Weg wartete eine überraschende Jause auf uns. Mit Käse und Würstel. Herrliche kulinarische Köstlichkeiten aus der Region um Ischgl. Ich genoss – und aß auch so, wie es meinem Genuss entsprach. Nicht so, wie man essen würde im Wissen, dass erst auf der „Heidelberger Hütte“ der wahre Genuss warten würde. Genuss hat etwas mit dem Zulassen des Augenblicks zu tun. Mit dem Annehmen was ist. Und nicht mit der Erwartungshaltung, dass es anderswo noch besser werden könnte. Es ist gut so, wie es ist. Und jedes Essen hat seinen ganz eigenen „Zauber“.

Dennoch bereitete mich nichts auf das vor, was auf der „Heidelberger Hütte“ auf mich wartete. Wir trafen Eckart Witzigmann, den wir später als sehr angenehmen und interessanten Menschen kenne lernen würden, Alfio Ghezzi, Givoani Oosters, Dieter Müller und natürlich Martin Sieberer, dem dieser kulinarische Genuss überhaupt zu verdanken war, da er die Koordination und Organisation in Sachen Küche und Köche über hatte. Auf der Speisekarte standen: Rindsbackerl mit Püree, Tagliatelle mit Kalbsragout, Dinkelrisotto mit Almkäse und Gebratenes Saiblingsfilet.

Klang jetzt gar nicht so spektakulär? War es aber. Weil die Kunst der Küche in diesem Fall darin lag, dass sie auch nachkochbar sein sollte und die Hütten rund um Ischgl jeweils kulinarisch inspirieren sollte. Der „Teufel“ lag dabei aber im Detail. In den kreativen Neuschöpfungen von Altbekanntem. Im Umgang mit Altbewährten, das neu gedacht wurde. Im kreativen Umgang mit dem „Ausgangsmaterial“, bei dem einige kreative Verschiebungen und Erweiterungen bereits einen völlig neuen Geschmack erzeugen können. Vor allem das Dinkelrisotto von Giovani Oosters hat mich unglaublich begeistert, weil ich mir den Geschmack gänzlich anders vorgestellt hatte.

Und ab da an war mir klar, dass ich mich geirrt hatte: Die obigen Kategorien und Verfahren war alles Verfahren, die auch in der Kunst zum Einsatz kamen. Neuschöpfungen, kreative Akzentverschiebungen, Neudenken und „Fremdmachen“ von etwas, das man eigentlich geglaubt hatte gekannt zu haben. Eine Definition von Kunst gefällt mir besonders gut: Kunst macht wieder etwas bewusst wahrnehmbar, das eigentlich im Alltag bereits automatisiert wurde. Sprich: Wir nehmen die Luft nicht mehr wahr, die wir atmen. Sie ist uns selbstverständlich geworden.

In etwa so ist es manchmal mit unserem Leben. Kunst reißt uns aus unserer Routine und macht uns unsere Handlungen und Haltungen wieder bewusst. Auch Essen ist alltäglich, manchmal strikt rationalisiert. Außergewöhnliche Küche bringt uns dazu, das Ritualisierte und Vertraute wieder anders wahrzunehmen: Intensiver und deutlicher. Essen wir dem reinen Zweck entrissen und wird zu einer Aneinanderreihung von Augenblicken des Genießens. Mir wird die Frage unwichtig, wie ich mein Ziel, satt zu werden, erreichen werde. Der Weg wird zum Ziel. Das Essen zum Genuss.

Kurzum: Ich habe beim „Kulinarischen Jakobsweg“ in Ischgl gelernt, dass Kochen Kunst ist und Köche, zumal wenn sie Dieter Müller, Alfio Ghezzi, Eckart Witzigmann und Giovani Oosters heißen, Künstler sind, die alle Kriterien dieses Künstler-Seins erfüllen. Ich habe auch gelernt, dass man sich oftmals auf den Weg machen muss, um seine eigefahrenen Gewohnheiten und Denkmuster aufzubrechen und sein Denken heraus zu fordern.

In diesem Sinne: Danke Martin Sieberer für das Zusammentrommeln dieser großartigen Köche! Und danke dafür, dass ich dadurch meine Meinung über Kochen als Kunsthandwerk grundlegend geändert habe. What a difference a day makes…

Der „kulinarische Jakobsweg“ in Ischgl, oder: Auf dem Weg des Genusses
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Von in Trofana Royal